Streuobstwelt

Die eigene Streuobstwiese anlegen – Teil 5: Der Pflanzschnitt

Der fünfte Teil der Artikelserie „Die eigene Streuobstwiese anlegen“ hat den Pflanzschnitt zum Thema. Der Beitrag erklärt warum Obstbäume geschnitten werden müssen und worauf es beim Pflanzschnitt ankommt.

Warum Obstbäume schneiden?

Auf den ersten Blick erscheint es nicht besonders sinnvoll Obstbäume zu schneiden. Schließlich ist der Baum doch ein Geschöpf der Natur, der auch ohne den Menschen wächst und sicherlich ohne die Behandlung durch diesen seinen Weg finden sollte. Und grundsätzlich gilt dies auch. Um zu verstehen warum es dennoch sinnvoll ist Obstbäume zu schneiden, möchte ich zwei Blickwinkel auf das Thema eröffnen.

Zum einen werden auf unseren Streuobstwiesen überwiegend Kulturobstsorten angebaut. Kulturobst heißt, dass der Mensch diese Obstsorten nach seinen Bedürfnissen gezüchtet bzw. kultiviert hat. Bedürfnisse bedeuten in der Regel, dass das Zuchtziel eine große, schwere und wohlschmeckende Frucht war. Aufgrund dessen unterscheiden sich die meisten Kulturäpfel von ihren genetischen Vorfahren, dem Wildapfel. Denn Wildapfelsorten sind meistens kleinfruchtig, unsere Kulturäpfel eher großfruchtig mit viel gespeicherter Flüssigkeit. Durch die Züchtung konnte zwar der Ertrag verbessert werden, die Bäume hatten aber zunehmend mehr Gewicht zu tragen. Daher wurde es nötig den Obstbaum mittels Baumschnittes so zu formen, dass er ein möglichst gleichmäßiges und stabiles Gerüst aus Leitästen bildet. Aus diesem Blickwinkel dient der Baumschnitt der Erzeugung einer stabilen und belastungsfähigen Baumkrone und somit auch der Baumgesundheit.

Zum anderen ist die primäre Aufgabe der Streuobstwiese die Produktion von Lebensmitteln. Eine effiziente Produktion ist nur möglich, wenn die Bäume einen guten Ertrag liefern und gut zu bewirtschaften sind. Beides erreicht man durch den Baumschnitt. Richtig durchgeführt sorgt er für eine gleichmäßige Belichtung aller Früchte, hält das Verhältnis zwischen Blättern und Früchten im Gleichgewicht, reguliert die Triebigkeit des Baumes und garantiert durch das Anlegen von Leitergassen eine effiziente Aberntung der Früchte. Aus diesem Blickwinkel sichert ein fachgerechter Baumschnitt indirekt das Überleben von Streuobstwiesen. Denn ohne eine sinnvolle Bewirtschaftung, verfallen diese und werden selten gepflegt.

Beide Sichtweisen führen vor Augen, wie wichtig ein fachgerechter Baumschnitt auf der Streuobstwiese ist. 

Grundlagen des Pflanzschnitts

Der Pflanzschnitt dient des Aufbaus der späteren Baumkrone. Somit ist er die wesentliche Grundlage um Form und Stabilität der späteren Baumkrone zu bestimmen. Beim Pflanzschnitt werden der Mitteltrieb sowie die Gerüstäste (auch Leitäste genannt) bestimmt. Weiterhin werden Konkurrenzen und Überbauungen zu den ausgewählten Ästen entfernt. Im nächsten Schritt werden die ausgewählten Äste angeschnitten, um den Wuchs anzuregen. Zuletzt werden die Gerüstäste mittels Abspreizen oder Hochbinden in eine günstige Ausgangsposition für den weiteren Wuchs gebracht.

Die Bedeutung des Pflanzschnitts ist kaum zu überschätzen. In den ersten Standjahren lassen sich ein vergessener Pflanzschnitt oder Fehler bei diesem noch relativ gut ausbessern. Mit steigendem Baumalter, wird dies jedoch immer schwieriger.

Pflanzschnitt in der Praxis

  1. Mitteltrieb auswählen und anschneiden

Im ersten Schritt wird der Mitteltrieb ausgewählt. Hierbei handelt es sich um die natürliche Verlängerung des Stamms. In der Regel wird ein in der Baumschule gekaufter Baum über einen dominanten Mitteltrieb verfügen, der nach dem ersten Formschnitt in der Baumschule gewachsen ist. Sollten weitere Mitteltriebe bestehen, werden diese entfernt. Der ausgewählte Mitteltrieb wird nun leicht schräg kurz über einer Knospe auf der Seite der Hauptwindrichtung (meistens Westen) angeschnitten. Bei jedem Schnitt oberhalb einer Knospe ist darauf zu achten, die Knospe nicht zu verletzen. Anschließend können vier bis fünf Knospen unterhalb der angeschnittenen Knospe herausgebrochen werden. Dies bietet den Vorteil, dass aus den herausgebrochenen Knospen in der folgenden Wuchsperiode keine Konkurrenzen zur bestehenden Mitte wachsen. Sollte die oberste Knospe beim Anschnitt jedoch ungewollt verletzt worden sein, entsteht unter Umständen gar kein Mitteltrieb. Daher empfehle ich die unteren Knospen nur herauszubrechen, wenn man eine gewisse Sicherheit beim Anschneiden der Äste erreicht hat. Konkurrierende Mitten können beim nächsten Schnitt leicht entfernt werden. Eine Fehlende Mitte benötigt jedoch ein ganzes Jahr um nachzuwachsen.

  1. Auswahl der Gerüstäste oder auch Leitäste

Bei den Gerüstästen handelt es sich um die dominanten Seitentriebe, die das Gerüst der späteren Baumkrone bilden. Damit sich die Baumkrone stabil und bewirtschaftbar entwickelt, wählt man 3-5 (je nachdem, was der Jungbaum hergibt) Seitentriebe aus. Diese sollten sich auf verschiedenen Höhen befinden und sollten in verschiedene Richtungen wachsen. Auf diese Weise wird das Gewicht der Äste und später auch der Früchte am Stamm verteilt. Des Weiteren wählt man Äste aus, die in einem für den weiteren Wuchs günstigen Winkel vom Stamm abgehen. Hierbei ist ein Winkel von 45 Grad ideal. Äste die in einem spitzen Winkel am Stamm angewachsen sind, nennt man Schlitzäste. Sie neigen dazu mit steigendem Ast- und Fruchtgewicht vom Stamm abzubrechen. Daher werden sie beim Pflanzschnitt konsequent entfernt. Wie man aus einem Schlitzast dennoch einen Gerüstast gewinnen kann, wird weiter unten beim Zapfenschnitt erklärt.

Bei der Auswahl der Gerüstäste gehe ich wie folgt vor: Zuerst schließe ich die Schlitzäste aus. Anschließend suche ich den obersten und den untersten Seitentrieb. Wachsen diese in zwei verschiedene Richtungen, stehen sie als die ersten beiden Gerüstäste fest. Anschließend suche ich zwei bis drei weitere Seitentriebe, die in die übrigen Richtungen wachsen. Grundsätzlich ist die Anzahl von drei bis vier Seitentriebe gut dafür geeignet, eine stabile Krone aufzubauen. Wenn sich jedoch mehr als vier Triebe als Gerüstäste anbieten, lasse ich zunächst fünf stehen und wähle beim Erziehungsschnitt im Folgejahr die vier Triebe aus, die sich am besten entwickelt haben. Alle anderen Triebe werden am Stamm vom Baum abgeschnitten.

  1. Anschneiden der Gerüstäste

Beim Anschneiden der Gerüstäste scheiden sich die Geister: Anschneiden auf eine Innenknospe oder auf eine Außenknospe? Für den Laien: Soll die Endknospe des Astes auf der Innen- oder auf der Außenseite stehen bleiben? Im Folgenden wird der Anschnitt auf eine Innenknospe erklärt, da er mein persönlicher Favorit ist. Bei diesem Anschnitt treiben im Folgejahr sowohl die Endknospe als auch die dahinter liegenden Knospen aus. Da sich die Knospen im Kreis um den Ast herumwickeln, treibt neben der Endknospe mindestens noch eine Knospe auf der Unterseite des Astes aus. Diese Triebe sind besonders wünschenswert, da sie in Wuchsrichtung des Gerüstastes und somit nicht quer in die anderen Gerüstästen hinein austreiben. Die Triebe an der Unterseite nennt man Fruchtriebe und sollen später als fruchttragende Äste dienen. Die Endknospe treibt ebenfalls in Wuchsrichtung des Gerüstastes aus und bildet die Verlängerung des Astes. Unter Umständen ist es möglich, dass der Ast steil nach oben austreibt. In diesem Fall muss er im Folgejahr vom Stamm abgespreizt werden, sodass wieder ein 45 Grad Winkel zum Stamm entsteht. Ein etwas steilerer Wuchs ist jedoch im Laufe des Baumlebens unproblematisch, denn mit wachsendem Gewicht der Früchte an dem Gerüstast, wird dieser wieder nach unten gezogen.

Alle Gerüstäste werden auf diese Art und Weise angeschnitten.

  1. Hochbinden und Abspreizen

Wie bereits erklärt, ist ein wünschenswertes Maß für einen Abgangswinkel des Gerüstastes vom Stamm ungefähr 45 Grad. Äste die steiler oder flacher wachsen, können vom Stamm abgespreizt, bzw. zum Stamm hin hochgebunden werden. Bedingung ist lediglich, dass es sich um keinen Schlitzast handelt, der bereits in einem spitzen Winkel am Stamm angewachsen ist. Zum Abspreizen klemmt man bereits abgeschnittene Äste zwischen den Stamm und den abzuspreizenden Ast. Zum Hochbinden genügt eine dünne witterungsfeste Schnur. Alle Gerüstäste bei denen es nötig ist, werden auf diese Weise in eine optimale Ausgangssituation gebracht.

  1. Der Zapfenschnitt

Unter Umständen nicht in alle Richtungen Triebe mit einer guten Anbindung an den Stamm vorhanden. Wenn sich auf einer Seite nur ein Schlitzast befindet, kann aus diesem mittels eines Zapfenschnitt ein Ast mit einer günstigeren Anbindung gezogen werden. Hierzu wird der Ast orthogonal zum Stamm angeschnitten. Daraufhin bilden sich an der Unterseite des Astes Knospen und Triebe, die in der Regel in einem sehr günstigen Winkel zum Stamm wachsen. So kann ein Schlitzast gerettet werden und es muss auf der Seite nicht auf einen Seitentrieb verzichtet werden.

Im sechsten Teil der Artikelreihe „Die eigene Streuobstwiese anlegen“ gibt es die große Endabrechnung. Der Artikel klärt die Frage nach den Kosten und Aufwendungen rund um das Anlegen einer eigenen Streuobstwiese.

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